Forschen mit Realexperimenten
Idee
Ein wesentlicher Treiber von Transformationen sind sogenannte Pioniere des Wandels, also Menschen, die neue Technologien oder Lebensstile ausprobieren, bevor diese zum Mainstream werden. Mit ihnen gemeinsam wurden im „Labor Stadt“ sogenannte Realexperimente durchgeführt, um herauszufinden, wie die Pioniere agieren, welchen Hürden sie begegnen und wie man sie fördern kann. Gleichzeitig sollten Handlungsalternativen aufgezeigt, zum Ausprobieren sozialer und technischer Innovationen eingeladen, sowie Debatten über die Nachhaltigkeit unserer Mobilitätskultur angestoßen werden. Realexperimente stellen einen wichtigen Bestandteil in der Reallaborforschung dar und unterscheiden sich zum klassischen Laborexperiment darin, dass sie in der realen Welt stattfinden. Die Rahmenbedingungen können daher nur begrenzt kontrolliert werden. Zudem gilt es externe Einflüsse zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu reinen Interventionen verfolgen Realexperimente eine wissenschaftliche Fragestellung. Sie bauen auf vorhandenem Wissen auf, welches praktisch angewendet wird, um zu lernen, wie das zunächst theoretische Wissen als Handlung umgesetzt werden kann. Aus Wissen wird Handeln generiert und dieses Handeln produziert wiederum neues Wissen.
Umsetzung
Die Realexperimente sollten in einem fairen, legitimen und transparenten Verfahren ausgewählt und durchgeführt werden. Zu Beginn wurde ein Stakeholderworkshop veranstaltet, welcher der Netzwerkbildung, der Identifikation der Themenfelder und der Sammlung erster Experimentideen diente. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für ein interdisziplinäres Seminar, das weitere Ideen entwickelte. Auf einem „Markt der Ideen“ wurden die Ideen von Studierenden und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgestellt und Arbeitsgruppen gebildet. Anhand vorgegebener Kriterien arbeiteten die Gruppen ihre Ideen weiter aus und präsentierten die Konzepte schließlich einer transdisziplinären Jury. Das Publikum konnte sich durch ein Voting ebenfalls an der Auswahl beteiligen. Folgende Experimente wurden ausgewählt:
- Parklets für Stuttgart
- Stäffele Gallery
- Freies Lastenrad
- Bürger-Rikscha
- Plusrad
- Das Marienhospital macht mobil
Sie wurden mit jeweils 5.000€ unterstützt und durch wissenschaftliche Ansprechpartner begleitet. Ein Transformationsworkshop erarbeitete die jeweiligen Ziele, Kriterien und Erfassungsmethoden. Es folgte die Durchführung der Experimente, deren Verlauf jeweils dokumentiert wurde. Parallel verfassten Studierende unterschiedlicher Disziplinen Abschlussarbeiten, in denen bestimmte Aspekte der Experimente vertieft untersucht wurden. Abschließend wurden die Ergebnisse in einem Reflexionsworkshop mit allen Beteiligten diskutiert und ausgewertet.
Ergebnisse
Es wurde ein Prozess entwickelt, der verschiedene Akteure zusammenbringen und neue Kooperationsstrukturen ermöglichen kann, um gemeinsam zu experimentieren und praktisch anwendbares Wissen zu generieren.
Bei der Zusammenarbeit mit den Pionieren des Wandels konnten Barrieren identifiziert und durch das Reallabor teilweise verringert werden. Es öffneten sich beispielsweise Türen bei der Stadtverwaltung; das Standing der Pioniere wurde durch die Zusammenarbeit erhöht. Weitere Handlungsfelder wie Haftungs- und Versicherungsfragen oder Kommunikation wurden erkannt und sollen zu politischen Handlungsempfehlungen führen.
Von den sechs ausgewählten Experimenten konnten aus unterschiedlichen Gründen nur vier umgesetzt und ausgewertet werden (Freies Lastenrad Stuttgart, Parklets für Stuttgart, Stäffele Galerie und Bürger-Rikscha). Die einzelnen Experimente erzeugten Erkenntnisse, die zur Weiterentwicklung der jeweiligen Initiativen genutzt werden können, aber auch einen Beitrag zu wichtigen Themen der Stadtgesellschaft leisten.
Fortsetzung
Es hat sich gezeigt, dass die durchgeführte Form der Realexperimente geeignet ist, die unterschiedlichsten Akteursgruppen zu vernetzen, um aktiv an der Transformation zu arbeiten und zu forschen. Das kreative Potential der Pioniere des Wandels wird durch Realexperimente aktiviert. Durch die realen Interventionen wird Wandel zudem erfahrbar gemacht, statt in einem abstrakten Raum zu verbleiben. Der entwickelte Prozess zur Auswahl und Durchführung der Realexperimente ist prototypisch. Er bedarf situationsspezifischer Anpassungen und der Weiterentwicklung, kann allerdings als Grundlage für zukünftige Realexperimente in weiteren Themenfeldern der nachhaltigen gesellschaftlichen Transformation dienlich sein.
Verantwortlich
SI – Städtebau Institut, Lehrstuhl Internationaler Städtebau
Prof. Dr. Astrid Ley, Raphael Dietz, Wei Jiang, Jana Melber
ILPÖ – Institut für Landschaftsplanung und Ökologie
Prof. Antje Stokman, Eric Puttrowait, Marius Gantert
ZIRIUS – Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung
Sophia Alcántara, Rainer Kuhn, Doris Lindner, Dr. Annika Arnold, Dr. Marco Sonnberger
Weitere Beteiligte
Zivilgesellschaftliche Praxispartner der Realexperimente, Studierende, offizielle Kooperationspartner des Reallabors
Bearbeitungszeitraum
Juli 2015 – September 2017
www.ilpoe.uni-stuttgart.de
www.si.uni-stuttgart.de
www.zirius.eu
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