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Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur

Rückblick auf das RNM-Finale

BERICHTE VON UNTERWEGS

Knapp drei Jahre lang haben Wissenschaftler*innen, zivilgesellschaftliche Initiativen und Vertreter*innen der Stadt im Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur gemeinsam gearbeitet:  Handlungsfelder und Forschungsfragen identifiziert, ein Forschungsdesign entwickelt, verschiedene partizipative Formate erprobt, Realexperimente konzipiert, durchgeführt und wissenschaftlich ausgewertet. Nun wurden die Ergebnisse vom 21. bis 23. September der Öffentlichkeit vorgestellt, mit ihr diskutiert und weiter gedacht – ganz im Sinne des transdisziplinären und kooperativen Forschungsformates. Mit vielfältigen Veranstaltungen waren Bürgerinnen und Bürger, Projektpartner und Initiativen genauso eingeladen wie Nachbar*innen und internationale Wissenschaftler*innen. Eine begleitende Ausstellung bot nicht nur „stationär“ im Hospitalhof Einblick in die Forschungsergebnisse, sondern brachte die entstandenen Berichte auf der „Mobilitätsmeile“ zwischen Hospitalplatz und Rathaus sprichwörtlich in die Stadt und verknüpfte sie so direkt mit dem Experimentierraum Stuttgart.

 

 

Stuttgart, Mobilität & Wir

 

Das Finale begann am Donnerstagabend im Foyer des Hospitalhofs. Begrüßt von Bläserklängen aus dem akademischen Orchester der Universität Stuttgart erwartete die Besucher*innen eine Ausstellung über das Reallabor. Einblicke in die vergangenen drei Jahre Forschungsprozess erlaubten neben Ausstellungstafeln in Form von Verkehrsschildern auch Berichte zum Blättern. Eine Leseecke bot den Konzentrationsraum. Ein als Bar umfunktioniertes Lastenrad versorgte die Besucher*innen mit Getränken.

 

Um 19:00 Uhr eröffnete Prof. Dr. Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart, die Veranstaltung. Er lobte das Projekt für den entstandenen Dialog in Stuttgart und hob den Abbau der Skepsis gegenüber Wissenschaft und Forschung besonders hervor. Dr. Helmut Messer vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg befand in seinem Grußwort: „Es wurden mit Bravour Impulse gesetzt“, die Chancen für eine Anschlussförderung des Reallabors ständen somit gut.

 

In der folgenden „lebendigen Statistik“ zeichneten 30 Stuttgarter*innen unter der Leitung von Martina Grohmann, Intendantin des Theater Rampe, ein künstlerisches Bild der aktuellen Mobilitätskultur in Stuttgart. Sichtlich unterhalten fand sich auch das Publikum in der Inszenierung wieder.

 

Zur anschließenden Podiumsdiskussion waren Repräsentant*innen jener Bereiche geladen, deren Zusammenarbeit wichtig für das Reallabor war: Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik. Prof. Antje Stokman, die Sprecherin des Reallabors, Jan Lutz, zivilgesellschaftlicher Innovator im Reallabor, Anke Kleinschmit, Direktorin für Konzernforschung und Nachhaltigkeit der Daimler AG, und Dr. Michael Münter, Referatsleiter Nachhaltige Mobilität der Landeshauptstadt – sie alle machten klar, dass sich die zuvor in manchem Bild gezeigte Mobilitätskultur in Stuttgart deutlich verändern würde. Schon in seiner Eingangsthese stellte der Moderator Prof. Dr. Wolfgang Schlicht fest: „Wir stehen vor der Schwelle zu einem neuen Mobilitätszeitalter.“ Wie genau diese Schwelle zu beschreiben sei, wie man sich den Weg über die Schwelle hinweg mit welchem Ziel vorstellen könne und welche technologischen, aber auch sozialen Innovations-Perspektiven sich dabei eröffnen würden, darüber diskutierten die Gesprächspartner mitunter kontrovers. Einig waren sich aber alle darin, dass es für die Reise auf eine Kooperation aller Akteure ankomme. Reallabore seien dafür ein gutes Format, um Veränderung im Kleinen zuzulassen und zu erproben.

 

Die Schwelle des Hospitalhofs überschreitend gingen dann die Diskutanten auch zusammen hinaus auf den Hospitalplatz. Hier dankte die Reallabor-Sprecherin Antje Stokman noch einmal allen Projekt-Partnern für die überaus erfolgreiche Zusammenarbeit der letzten drei Jahre und eröffnete die Ausstellung im Stadtraum. Ganz praktisch lud der Verein „Stadtlücken“ mit einem „Stadtstreifen-Automat“ zur eigenen Anlage von Wegen ein. Wer wollte, konnte sich ein Stück „Zebrastreifen to Go“ mitnehmen und den Stadtraum so selbst fußgängerfreundlicher gestalten. Bei Sekt und Häppchen wurden die in der Diskussion aufgebrachten Themen vertieft, der Abend klang mit Musik des Bläserquintetts aus.

 

 

Wissenschaft & Gesellschaft

 

Am Freitag lud das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur Wissenschaftler*innen aus Deutschland und Europa nach Stuttgart zur Fachtagung des Umweltbundesamtes ein, um  über „Neue Wege in der transformativen Umweltpolitik. Sozial- ökologische Perspektiven einer Transformationskultur am Beispiel nachhaltiger Alltagsmobilität“ zu diskutieren. Nach der Begrüßung durch Christian Löwe vom Umweltbundesamt stellten Antje Stokman und Rainer Kuhn das Reallabor, seine Arbeitsweise sowie die Forschungsergebnisse der zurückliegenden Jahre vor. Danach wurden zwei Podiumsgespräche geführt. Der erste Dialog widmete sich der Frage „Wie experimentell ist die Wissenschaft?“. Gemeinsam mit der Begleitforschung reflektierten Reallabor-Forscher*innen ihre Eindrücke, Erfahrungen und Einschätzungen des Forschungsprozesses. Im zweiten Dialog fanden die in die Realexperimente involvierten zivilgesellschaftlichen Akteure Antworten auf die Frage: „Wie experimentell ist die Zivilgesellschaft? Wie viel Handeln braucht Wissen in der Transformation?“ Dabei konstatierten die Diskutanten kleinere „Holperer“ auf dem Weg ihrer Experimente (rechtliche Rahmenbedingungen, Management, ehrenamtliche Tätigkeit), unterstrichen aber den großen Wunsch nach weiteren transdisziplinären Formaten wie Reallaboren.

 

Die Themen konnten nach dem Mittagessen im „Internationalen Living Lab Exchange“ mit Gästen aus Schweden, England, Italien und Österreich vertieft und um manche nachahmenswerte Idee aus anderen europäischen Städten bereichert werden. Weitere vertiefende Diskussionsforen unter der Frage „Vom Reallabor zur gelebten Transformation?“  richtete den Fokus auf nachhaltige Alltagsmobilität und nachhaltige Lebensstile. Neben einem inhaltlichen Austausch fand auch eine weiterführende Annäherung an Fragen der Generalisierbarkeit und Verstetigung des Forschungsformates statt.

Das abschließende Plenum fasste die aus dem Reallabor gelernten Punkte hinsichtlich der Gestaltung einer transformativen Forschung zusammen. Besonders hervorgehoben wurden die großen Potenziale eines temporär ermöglichten und abgesicherten „Testraums“ durch Realexperimente. Diese sollten durch eine mutige (Förder-)Politik auch entfaltet werden können.

 

Seinen Abschluss fand der Tag in einem Podiumsgespräch im Roten Salon. Unter dem Titel „Neue Forschungsformate – Neue Chancen für die Stadt?“ diskutierten Dr. Birgit Schneider-Bönninger, Leiterin des Kulturamtes der Stadt Stuttgart, Thomas Becker, Berater für zivilgesellschaftliche Projekte und Mit-Initiator des Freien Lastenrad Stuttgart, Dominik Rudolph, Koordinator der Stuttgarter Change Labs der Universität Stuttgart, und Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Institut und konzeptioneller „Vordenker“ der Reallabore. Trotz einem allgemeinen Konsens über Sinn, Nutzen und Potenzial der Reallabore bot sich dem Publikum eine spannende Diskussion, bei der die Diskutanten klarstellten, dass die neuen Reallabor-Formate die bestehende Forschung nicht ersetzten, sondern als eigenständiges Format bereichern sollten.

 

 

Wandel ist möglich

 

Bei strahlendem Sonnenschein, Croissants und frischem Kaffee begann der letzte Tag an einer langen Frühstückstafel auf dem Hospitalplatz. Nach der Begrüßung durch Pfarrer Eberhard Schwarz, dem Vorstandsvorsitzenden des Quartiersvereins Forum Hospitalviertel e.V., tauschten sich Wissenschaftler*innen, Praxispartner*innen und Nachbar*innen über Fragen einer lebenswerten Stadt und die Zukunft der urbanen Mobilität aus.

 

Inhaltlich wurde der Tag von den bürgerschaftlichen Initiativen und den zivilgesellschaftlichen Experimentatoren getragen. Sie hatten auch ihre Gäste zum „Forum Realexperimente“ geladen.

 

Das „Forum Realexperimente“ begann mit drei Impulsvorträgen: Clemens Rudolf stellte die Ergebnisse der ersten Nutzerstudie über Freie Lastenräder in Deutschland und Österreich vor. Ausgehend von ihrer sozialwissenschaftlichen Masterarbeit berichtete Bianca Lleradi von sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen des „Spendens“ von Mobilität für Senior*innen durch die Bürgerrikscha. Annelies Larcher gab einen Einblick in das Aktionsprogramm „Grätzloasen“, mit dem die Stadt Wien die Belebung und Aufwertung des öffentlichen Raums, z.B. durch Parklets, aktiv fördert.

 

In den anschließenden Workshops wurden die Impulse aufgegriffen, weiter diskutiert und auch hinsichtlich praktischer Handlungsmaßnahmen sondiert. Parallel schnippelten Nachbar*innen und spontane Helfer das Mittagessen aus geretteten Lebensmitten von der Initiative Foodsharing. Unter der Anleitung von Rudolf Eulitz entstand ein leckerer Gemüseeintopf mit Salat und Brot als Beilage, der in der Pause allen Gästen mundete.

Alexander Heinz spielte dazu auf dem Hang, einem melodischen Perkussionsinstrument.

Während die Workshops um das Freie Lastenrad und die Bürger-Rikscha am Nachmittag in die zweite Runde gingen, konnten Besucher*innen sich auch mit anderen lokalen Initiativen auszutauschen.

 

Um 16:00 Uhr kamen die Workshop-Teilnehmer*innen wieder im Plenum zusammen und präsentierten ihre Ergebnisse. Erfolgreich hatte ihre Arbeit zu neuen Ideen und Vernetzungen geführt: Der Vaihinger Verein „Bürger-Rikscha gemeinsam in Bewegung“ konnte mit seinem Workshop nicht nur Initiativen aus anderen Gemeinden zum Weitermachen motivieren, sondern zugleich mit wertvollen Erfahrungen nachhaltig coachen. Dem Workshop des Freien Lastenrades gelang es, eine Reihe gemeinwohlorientierter Sharing- und Commons-Initiativen in Stuttgart zu vernetzen und eine neue Kooperation mit der offenen Werkstatt „Hobbyhimmel“ zu begründen. Die Initiative Parklets für Stuttgart konnte im Gespräch u.a. mit Annelies Larcher von der Lokalen Agenda 21 Wien und Susanne Scherz vom Amt für Öffentliche Ordnung der Stadt Stuttgart wichtige Gelingensbedingungen für eine partizipative Stadt- und Straßenraumgestaltung herausarbeiten, die in Zukunft für Stuttgart relevant werden könnten. Auch das Team der Mobilitätsschule arbeitete ein Zukunftspotenzial des Projektes heraus: Durch die Einbindung von Schulen, Unternehmen und sozialen Trägern mit Senioreneinrichtungen können weitere Bevölkerungsgruppen, auch ältere Menschen, erreicht werden.

 

Nach dem Abschluss der Workshops und einer Kuchenpause lud Raphael Dietz aus dem Reallabor zu einem Ausstellungs-Rundgang durch die Stadt ein. Vom Hospitalplatz führte der Spaziergang über die Ausstellungsstationen entlang der Büchsenstraße zuerst zur Theodor-Heuss-Straße. Für einen kurzen Moment verwandelte sich die sonst stark befahrene Straße durch einen Flashmob in eine temporäre Tangotanz-Fläche – ein Aufschein des möglichen Wandels. Danach führte der Rundgang vorbei am Mittnachtbau, dem Sitz des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, bis zum Rathaus. An jeder Station erläuterten die jeweils am ausgestellten Thema arbeitenden Wissenschafler*innen Ziel, Methode und Ergebnis „ihres“ Arbeitspakets.

 

In der Zwischenzeit hatte sich der Hospitalplatz in einen Parcours für das erste Stuttgarter Lastenrad-Rennen verwandelt. Bei dem vom Radkultur-Kollektiv „Kesseln.cc“ organisierten Wettbewerb galt es, die Kurven und Hindernisse mit einem Lastenrad und zwei Wassereimern Beladung schnell und mit wenig Ladungsverlusten zu durchfahren. Begleitet von den swingenden Klängen von DJ Louis Largo mussten sich die zahlreichen Kontrahent*innen am Ende Thijs Lucas, dem Initiator des alternativen Radforums geschlagen geben, der den Hindernis-Parcour am schnellsten und sichersten zu bewältigen wusste.

 

Den Ausklang fand die Veranstaltung mit dem Film „Kesselrollen“, der ein Portrait der Stuttgarter Rad- und Mobilitätskultur zeichnet und dabei auch einige der Mobilitäts-Akteure Stuttgarts zeigt, welche im Reallabor mitwirkten.

 

 

Weitere Artikel zur Veranstaltung:

 

https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/339/tanz-den-theodor-heuss-tango-4623.html

 

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nachhaltige-mobilitaet-in-stuttgart-reallabor-ist-nach-drei-jahren-abgeschlossen.04b7b52e-c423-47e5-b7ea-142a1d932af7.html

 

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgarter-forschen-nach-neuer-mobilitaetskultur-die-stadt-bewegt-sich.0d9d1669-7cdd-48a3-acfd-99f6866dd568.html

 

http://www.swp.de/ulm/nachrichten/stuttgart/mit-der-rikscha-ins-gruene-15779609.html

 

https://www.beschaeftigte.uni-stuttgart.de/uni-aktuell/meldungen/reallabor_mobilitaet/index.html

 

http://nachhaltigmobil.schule/2017/09/26/workshop-diskutiert-mobilitaetsschule-der-zukunft/

 

 

Donnerstag – Stuttgart, Mobilität & Wir

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag – Wissenschaft und Gesellschaft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Samstag – Wandel ist möglich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

23.10.2017

von
Projekkoordination - Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur

REALLABOR FÜR
NACHHALTIGE MOBILITÄTSKULTUR

FUTURE CITY LAB

Universität Stuttgart
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